Stadtanzeiger der HAZ/NP

Seit neun Jahren lebt Jens-Olaf Amthor mit seinen Schützlingen im JUGEND- UND KINDERHAUS in der LIST, jetzt steht die Kündigung ins Haus – ein schwerer Einschnitt für die ungewöhnliche Wohngemeinschaft.

„Ich bekomme sehr viel zurück“

Das Wort „Betreuer“ findet er ganz schrecklich. Das klingt nach einem ganz normalen Berufsalltag — als oh hier irgendwann Schluss ist mit der Arbeit und das Privatleben beginnt. Für Jens-Olaf Amthor lassen sich Job und Freizeit aber nicht voneinander trennen. Wer mit sechs Kindern und Jugendlichen unter einem Dach lebt, ist rund um die Uhr zuständig. Deshalb sieht sich der 39- jährige Erzieher auch eher als „hauptberuflicher Familienvater“. Schließlich ist er derjenige, der in der Grünewaldstraße schon morgens um sieben den Frühstückstisch deckt, nachmittags bei den Schularbeiten hilft, abends Gute-Nacht-Geschichten vorliest und zu jedem Elternabend marschiert. Dass Kinder einmal sein Berufsleben bestimmen würden, war für Amthor schon früh klar. Als 18-Jähriger begann der gebürtige Hannoveraner seine Ausbildung zum Heimerzieher im „Rodenhof“, Hannovers letztem großen Kinderheim. Vier Jahre später, mitten im Zivildienst, überraschte er seine Freundin mit der Nachricht, „Vater“ eines Pflegekindes zu werden: Ein 13-jähriger Junge aus dem Boden- hof zog mit Einwilligung des Jugendamtes zu Amthor. Als „Alternative zur traditionellen Heimerziehung“ gründete der engagierte Pädagoge im Sommer 89 die „Erziehungsstelle Amthor“ mit zwei Betreuungsplätzen. Mittlerweile umfasst die Einrichtung der freien Jugendhilfe sechs Plätze für Kinder und Jugendliche — einige von ihnen bleiben bis ins Erwachsenenalter hinein in der „Alternativfamilie“. „Einer unserer Schwerpunkte ist die Jungenarbeit“ ‚ erläutert Amthor. Viel Zeit und Geduld sind dabei nötig, bis die zum Teil schwer misshandelten und traumatisierten Kinder Vertrauen zu Amthor und dem Pädagogenteam fassen. „Ich kann den Kindern nicht die Eltern ersetzen“, stellt Amthor klar. Erklärtes Ziel sei zwar eine mittelfristige Rückkehr der Kinder in ihre Elternhäuser. ‚Aber das gelingt leider längst nicht immer, und dann bleiben sie eben.“ Einen Tag in der Woche nimmt sich der etwas andere Familienvater frei, eine zu knapp bemessene Zeit, um großartig Hobbys und Freundschaften zu pflegen. Dann kümmern sich seine Kolleginnen um die sechs Jungen, die derzeit im Kinder- und Jugendhsus leben. „Mein Freundeskreis ist im Laufe der Jahre immer kleiner geworden“, bedauert Amthor, der seinen Schütz- lingen such an den Wochenenden gehört. Er habe eben keinen Arbeit mit geregeltem Tagesablauf. Bereut hat er seine berufliche Entscheidung aber bislang trotzdem nicht: „Ich bekomme von den Kindern viel zurück.“

Der etwas andere Familienvater: Jens-Olaf Amthor ist rund um die Uhr für seine Schützlinge ansprechbar.