Hannoversche Allgemeine Zeitung

Gut und teuer: das Haus Amthor

Ein unscheinbares Haus im Lister Malerviertel. Neben der Tür ein selbstgemachtes Keramikschild: „Familie Amthor“. Drinnen sieht es aus wie in einem idealen Zuhause: hell, freundlich, kindgerecht. Mit Stofftieren auf dem Sofa, Kinderfotos überall und Marionetten, die von der Decke hängen. Eine Großfamilie könnte hier wohnen. In Wirklichkeit ist es aber eines von Hannovers kleinen privaten Kinder- und Jugendheimen. Vor 15 Jahren hat sich Jens-Olaf Amthor, damals Erzieher im städtischen Kinderheim Rodenhof und gerade mal 25 Jahre alt, selbst- ständig gemacht und das Kinder- und Jugendhaus Amthor gegründet. 1 Seitdem kümmert er sich in erster Linie um Jungen, die traumatisiert sind durch Erfahrungen in ihren Familien: durch schwere körperliche Misshandlungen oder sexuellen Missbrauch. Oft haben diese Kinder bereits eine längere „Heim-Karriere“ hinter sich, bevor sie vom Jugendamt in die freie Einrichtung in Eilenriedenähe vermittelt werden. Wie Andreas, heute 27 Jahre. Er war gerade mal sechs, als er zunächst ins Heim kam. Er war völlig ausgehungert, abgemagert, hatte überall Striemen am Körper. „Der Hund bei ihm zu Hause hatte mehr zu essen bekommen als er“, erinnert sich Jens-Olaf Amthor. Er war damals Betreuer von Andreas im Rodenhof und nahm den Jungen mit in sein neu aufgebautes Kinder- und Jugendhaus. Denn eine Rückkehr zu den Eltern, beide schwere Alkoholiker, er- schien unmöglich. „Ich hab‘ mich erst ganz schön schwer getan“, erzählt Andreas heute, „ich war wohl auf dem Stand eines Dreijährigen.“ Aber „Hausvater“ Amthor und die drei angestellten Sozialpädagogen hätten sich intensiv um ihn gekümmert. Andreas, längst selbstständig und mittlerweile selber Familienvater, redet von Jens-Olaf Amthor nur noch als „mein Vater“. Er hat sogar den Nachnamen seines Erziehers angenommen — aus Dankbarkeit. Er heißt jetzt Andreas Amthor. Sieben Jungen im Alter von acht bis zwanzig Jahren leben derzeit im Kinder- und Jugend- haus in der Grünewaldstraße. Einige wie Konrad (Namen geändert) erst seit kurzem, andere wie Phillip seit 13 Jahren. Und jeder in seinem eigenen Zimmer, für das er sich selbst die Möbel aussuchen durfte. Der achtjährige Konrad geht in die nahe gelegene Grundschule. Phillip (20) bricht um 6 Uhr morgens zu seiner Arbeit als Gärtner auf und kommt erst am späten Nachmittag zurück. Besonders stolz ist „Heimvater“ Amthor derzeit auf Christian (17), der seinen Hauptschulabschluss geschafft und eine Ausbildungsstelle zum Parkettleger sicher hat. „Es ist keineswegs selbstverständlich, dass die Jungen einen Abschluss machen“, sagt der 40-jährige Erzieher, „denn was sie hinter sich haben, das belastet sie noch ihr ganzes Leben schwer.“ Während die angestellten Sozialpädagogen das Haus abends verlassen, ist Vaterersatz: Zögling Andreas (rechts) hat Jens-Olaf Amthors Nachnamen angenommen. Jens Amthor rund um die Uhr beschäf- len. „Hauptsache, es gibt uns noch“, tigt als „Ersatzvater“. Er wohnt im sagt Amthor – und verweist stolz auf Kinder- und Jugendhaus. „Die Nächte den frischen Keller- und Dachausbau sind am schlimmsten für diese Kinder, zum 15-jährigenBestehen. im Traum kommt alles hoch, was sie ASTRID WAGNER-ScHaPER tagsüber verdrängen können.“ Einer der Jungen hat deshalb eine Klingel direkt an seinem Bett — und Jens-Olaf Amthor schlägt öfters mitten in der Nacht die Liege neben ihm auf. Am Anfang hätten die Nachbarn gefragt, was er und seine Mitarbeiter eigentlich den ganzen Tag zu tun hätten, die Jungs seien doch immer in der Schule odet unterwegs, erzählt Amthor. Keiner aN ne eben, was so alles zur Betreuung nötig sei: „Dass wir uns ständig über die Kinder austauschen müssen, dass wi uns mit den Psychologen und Then peuten beraten müssen, dass wir ur mit den Eltern treffen, dass wir lichst viel Zeit für jedes einzelne aufbringen.“ Ganz abgesehen von der täglichen Hausarbeit — Waschen, Einkaufen, Kochen und so weiter. Mittlerweile hat sich rumgesprocher was im Jugendhaus für eine Arbeit ge] leistet wird. „Jetzt werden wir auch zum Grillen eingeladen, und die Jungen können auch mal ihre Freunde zu un nach Hause einladen, ohne dass die Eltern misstrauisch werden.“ Wenn wir diesen Tagen im Kinder- und Jugendhaus Amthor groß das kleine Jubiläum gefeiert wird, ist auch die Nachbarschaft eingeladen. Zu feiern gibt es aber vor allem, dass die Einrichtung überhaupt noch existiert. Denn als Jens Olaf Amthor Ende vergangenen Jahres der Mietvertrag gekündigt wurde und keiner dem Erzieher und seiner Jungen- gruppe ein neues Dach über dem Kopf geben wollte, drohte dem Kinderhaus schon das Aus. Schließlich nahm Amthor einen Bankkredit auf und kaufte das Haus. Nun muss er von den Pflegesätzen der Stadt (133 Euro pro Jugendlicher und Tag) auch den Kredit abzahlen.

“Hauptsache, es gibt uns noch”, sagt Amthor – und verweist stolz auf den frischen Keller- und Dachausbau zum 15-jährigen Bestehen.

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