VPK: Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen (Kinder- und Jugendstärkungsgesetz – KJSG) vom 5.10.2020

Berlin, 26. Oktober 2020

Vorbemerkung:

Der Referentenentwurf zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen zeigt einen deutlichen Fortschritt gegenüber dem Gesetzentwurf aus der vergangenen Legislaturperiode, der unter dem Leitbild „Vom Kind aus denken“ stand.

Der VPK bedankt sich für das besondere Engagement der Mitwirkenden im Rahmen des Dialogprozesses „Mitreden – Mitgestalten“, ohne das dieser Entwurf nicht denkbar gewesen wäre. Der Entwurf zeigt, dass die intensive Einbeziehung, Begleitung und Beratung durch die Fachpraxis und die Wissenschaft zwar aufwendig, aber im Ergebnis sinnvoll und in der Sache zielführend ist.

Der VPK bedankt sich auch für den besonderen Einsatz und den enormen Arbeitsaufwand, den das zuständige Referat im Bundesfamilienministerium geleistet hat und auch zukünftig noch leisten muss.

Grundsätzliche Bewertungen des Referentenentwurfs

Der VPK hält den vorliegenden Entwurf grundsätzlich für geeignet, das geltende Kinder- und Jugendhilfegesetz, das sich als modernes Leistungsgesetz in der Praxis sehr bewährt hat, fachlich weiterzuentwickeln. Der Entwurf beinhaltet eine Reihe von Punkten, die tatsächlich zu einer Stärkung von Kindern, Jugendlichen und deren Familien beitragen können. Auch das Ziel, die inklusive Ausrichtung des Hilfesystems rechtlich zu fundieren, wird seitens des VPK neben der sehr zu begrüßenden längeren Übergangsfrist für gutgeheißen. Die vergleichsweise lange Übergangszeit bis zum Jahr 2028 wird es der Praxis ermöglichen, die Komplexität der mit der Zusammenführung verbundenen Anpassungen und Umsetzungen im Sinne eines inklusiven Ansatzes fachlich adäquat umzusetzen.

Hilfeleistungen außerhalb der eigenen Familie haben i.d.R. immer das Ziel einer Rückführung der Kinder und Jugendlichen in ihre Herkunftsfamilien. Insoweit darf im Rahmen der Unterbringung von Kindern das Herkunftssystem nicht aus den Augen verloren werden, sondern muss gleichermaßen unterstützt, beraten und in den Hilfeprozess aktiv mit einbezogen sein. Dies ist mit dem geltenden SGB VIII nicht in dem erforderlichen Umfang gelungen. Der Gesetzentwurf greift deshalb diese Problematik auf und fördert das System „Familie“. Diese Intention halten wir für zielführend, weil dadurch bestehende Bindungen und Beziehungen stabilisiert, mehr Transparenz hergestellt und Lernprozesse gemeinsam neu initiiert werden können. Dieser Ansatz stärkt ganz konkret Kinder, Jugendliche und deren Familien. Er trägt dadurch auch allgemein zu einer Verbesserung der qualitativen Ausrichtung des Gesetzes bei.

Aus unserer Sicht aber ist dies nur dann tatsächlich realisierbar, wenn diese richtigen Intentionen auch mit entsprechender finanzieller Unterstützung hinterlegt werden. Dieser Gesichtspunkt bildet sich hingegen an keiner Stelle des Entwurfs erkennbar ab. Dies betrifft gleichermaßen auch den vorgesehenen Ausbau von präventiven Leistungen im sozialen Nahraum. Auch hier sehen wir keine Hinterlegung mit zwingend notwendigen und zusätzlichen Finanzmitteln.

Besondere Sorge bereitet uns die Legaldefinition nach § 45a SGB VIII. So sehr wir eine Definition von Einrichtungen zur Klarheit auch begrüßen, so sehr ist sie im Referentenentwurf misslungen. Hier besteht dringender Neuformulierungsbedarf, um die wichtige Arbeit von familienähnlichen Betreuungsformen auch zukünftig zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen aufrechterhalten zu können. Der Abschlussbericht des Dialogberichtes „Mitreden – Mitgestalten“ weist zu Recht ausdrücklich hinsichtlich des Einrichtungsbegriffes darauf hin, „dass fachlich bewährte familienanaloge Betreuungsformen nicht gefährdet werden dürften. Es müsse deshalb sichergestellt werden, dass solche Betreuungsformen nicht aus dem betriebserlaubnispflichtigen Bereich herausfielen.“

Diesem Ergebnis schließt sich der VPK vollinhaltlich und mit großer fachlicher Überzeugung an. Entgegen dieser Aussage des Abschlussberichts aber müssen wir feststellen: Dieses Ziel wurde mit der Legaldefinition nach § 45a SGB VIII leider nicht erreicht, da sie unterschiedlich ausgelegt werden kann. Hier besteht insoweit dringender Änderungsbedarf.
Sorge bereitet uns auch die im Referentenentwurf einseitig ausgeprägte Überbetonung der in den Ländern ansässigen Einrichtungsaufsichten. Damit sprechen wir uns nicht gegen eine notwendige Aufsicht aus, im Gegenteil: Der VPK hat in der Vergangenheit immer wieder darauf hingewiesen, dass diese Verpflichtung der übergeordneten Träger sowohl aus personellen aber auch aus qualitativen Gründen nur unzureichend wahrgenommen wurde und entsprechende Nachbesserungen gefordert.

Die Kinder- und Jugendhilfe ist unabdingbar auf ein partnerschaftliches Verhältnis, eine gute Zusammenarbeit und daraus folgend auf ein wechselseitiges Vertrauen zwischen freien Trägern und öffentlichen Trägern angewiesen; dieses gilt es weiter zu stärken und nicht zu unterminieren. Der Gesetzentwurf stellt hingegen leider zu sehr auf den Versuch ab, die Einrichtungsaufsicht einseitig zu stärken und deren gleichermaßen wichtige Funktion der Beratung zu vernachlässigen. Nicht ohne Grund hat der Gesetzgeber mit dem geltenden SGB VIII gesetzliche Voraussetzungen auf Grundlage von § 85 SGB VIII geschaffen, die Aufsicht und Beratung auf eine Ebene stellen, es besteht hier insoweit keine Priorisierung von Aufgaben, sondern ein gleichwertiger Arbeitsauftrag. Nur auf dieser Grundlage kann das intendierte Ziel einer Stärkung von Kindern und Jugendlichen auch bestmöglich erreicht werden. Stärkung bedeutet dabei immer auch wechselseitige Wertschätzung auf Grundlage von Vertrauen. Vertrauen entsteht durch regelmäßige persönliche Kontakte in den Einrichtungen vor Ort. Besonders an Letzterem mangelte es in den vergangenen Jahren massiv. Ursache dafür war zumeist eine unzureichende Personalausstattung beim überörtlichen Träger, aber auch ein Mangel an verbindlichen, standardisierten Verfahren in den Aufsichtsbehörden, um diese Aufgaben zur Zufriedenheit aller auch tatsächlich sicherstellen zu können. Die Beratungsfunktion der Aufsichtsbehörden muss aus Sicht des VPK ebenso wie eine Verbindlichkeit von Verfahrenswegen gleichermaßen gestärkt werden – eine einseitige Stärkung der Aufsicht bleibt ansonsten nicht nur ein „stumpfes Schwert“, sondern wirkt sich durch ein Streuen von Einseitigkeit als kontraproduktiv für die wichtige partnerschaftliche Zusammenarbeit in der Kinder- und Jugendhilfe aus.

Im Einzelnen:

Aus Sicht des VPK sind folgende Punkte besonders positiv hervorzuheben:

  • Inklusive Ausrichtung
    Die zeitlich gestreckten und in drei Stufen gegliederten Übergangsfristen hinsichtlich einer inklusiven Ausrichtung des SGB VIII werden vom VPK begrüßt. Dieser lange Zeitraum lässt hinreichend Zeit für ein Gelingen der komplexen Umsetzung. Weiterhin begrüßt der Verband die Aufnahme eines Verfahrenslotsen. Hingegen halten wir eine zeitliche Begrenzung von 2024 – 2028 für nicht zielführend. Stattdessen regen wir an, einen Verfahrenslotsen schon zu Beginn der Gültigkeit der Reform zu installieren und zwar dauerhaft auch über das Jahr 2028 hinaus. Zudem erschließt sich nicht, warum ein Verfahrenslotse ausschließlich beim Öffentlichen Träger angesiedelt sein soll.
  • Kostenbeitrag
    Die lange vom VPK geforderte Reduzierung des Kostenbeitrags nach § 94 Abs. 6 SGB VIII auf nunmehr 25 Prozent begrüßen wir. Im Sinne der Jugendlichen halten wir allerdings auch weiterhin an unserer Forderung nach einer vollständigen Abschaffung der Kostenbeteiligung fest. Es gilt dabei auch zu bedenken, dass die Berechnung der Kostenbeteiligung für die Jugendämter einen unverhältnismäßigen hohen Verwaltungsaufwand bedeutet, der im Verhältnis zum Ertrag aus der Kostenbeteiligung unverhältnismäßig ist.
  • Qualitative Stärkung
    Wir begrüßen die an verschiedenen Stellen im Entwurf enthaltene Stärkung der qualitativen Ausrichtung von Leistungen in der Kinder- und Jugendhilfe. Wir vermissen aber Hinweise dahingehend, wie und auf welcher verbindlichen Grundlage diese in der Praxis erreicht werden kann und soll. Hier ist der Gesetzgeber aufgefordert, entsprechende konkrete Vorgaben zu machen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine weitergehende Qualifizierung von Leistungen i.d.R. auch mit Mehrkosten verbunden ist. Insoweit besteht seitens der öffentlichen Träger auch zwingend die Bereitschaft zur Übernahme entsprechender Mehrkosten – dies ist derzeit an keiner Stelle des Referentenentwurfs erkennbar hinterlegt.
  • Verpflichtung für Schutzkonzepte
    Die in § 45 Abs. 2 Nr. 4 SGB VIII explizit benannte Voraussetzung zur Implementierung eines Schutzkonzeptes halten wir für richtig und für erforderlich. Ergänzend schlagen wir unter § 8b Abs. 2 SGB VIII zusätzlich noch vor, dass die Träger von Einrichtungen gegenüber dem überörtlichen Träger einen Anspruch auf Unterstützung bei der Erstellung und Evaluierung von Schutzkonzepten haben sollten; dies stärkt auch deren Beratungsfunktion.
  • Stärkung junger Erwachsener
    Die deutlich erhöhte Verbindlichkeit der Hilfen für junge Volljährige nach § 41 SGB VIII durch eine objektiv-rechtliche Verpflichtung des öffentlichen Trägers ist eine wichtige und richtige Weiterentwicklung der Hilfen zur Erziehung. In der Vergangenheit wurde ein bestehender Unterstützungsbedarf bei jungen Erwachsenen häufig nicht erfüllt. Die daraus entstandenen Nachteile können zukünftig durch eindeutigere Voraussetzungen vermieden werden.
    Gesetzessystematischer wäre es u.E. allerdings gewesen, einen verbindlichen Rechtsanspruch auf diese Leistungen ins Gesetz zu schreiben. Zur weiteren Rechtsklarheit halten wir zusätzlich die Aufnahme eines Anspruchs für erforderlich, wenn junge Volljährige vorher keine Leistungen im Rahmen der Hilfen zur Erziehung erhalten haben.
  • Verpflichtung zu Ombudsstellen
    Der VPK unterstützt die Errichtung von Ombudsstellen in den Ländern ausdrücklich. Überaus kritisch hingegen sehen wir die in § 9a SGB VIII enthaltene Verpflichtung des überörtlichen Trägers zur wahlweisen Errichtung einer zentralen Ombudsstelle oder einer vergleichbaren Stelle. Es bedarf hier unbedingt der Klarstellung, dass Ombudsstellen extern und unabhängig angesiedelt sind und arbeiten müssen, ansonsten verfehlen sie das intendierte Ziel.
  • Selbstorganisierte Zusammenschlüsse
    Die Aufnahme von selbstorganisierten Zusammenschlüssen nach § 4a SGB VIII als Ausdruck von Diversität und sich nachhaltig verändernden Strukturen wird vom VPK ausdrücklich befürwortet und unterstützt.
  • Systematisierung von Erhebungsmerkmalen
    Der VPK begrüßt die beabsichtigte Systematisierung der Erhebungsmerkmale nach § 99 SGB VIII auch unter dem Gesichtspunkt einer Verbandsmitgliedschaft. Sie trägt mit dazu bei, dass die Verbandsmitglieder in bestehende verbandseigene Informations- und Beratungskanäle eingebunden sind, die letztlich auch zu einer Stärkung von Kindern und Jugendlichen beitragen.

In nachfolgenden Punkten halten wir dringend Änderungen für geboten:

  • Ausbau niedrigschwelliger Angebote zur Kostendämpfung ungeeignet
    Grundsätzlich unterstützt der VPK den artikulierten Willen zur Vorhaltung niedrigschwelliger Unterstützungsangebote vor Ort für den Erhalt der Funktionsfähigkeit der Leistungssysteme im SGB VIII. Diese Unterstützungssysteme können zur Reduzierung von kindeswohlgefährdenden Krisensituationen beitragen. Sie sind aber ungeeignet, bereits verfestigte Symptomatiken bei Kindern, Jugendlichen und deren Familien zu beheben oder gar als Kostendämpfungsfaktor herzuhalten. Ihre Wirkung können sie nur präventiv entfalten. Insoweit sind sie immer nur eine sinnvolle und wünschenswerte Ergänzung von bestehenden Leistungsangeboten. In der Vergangenheit gab es vor Ort bereits eine freiwillige und leistungsfähige Infrastruktur in Form von Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen, Beratungsstellen, Familienzentren, Freizeiteinrichtungen, Schulaufgabenhilfen uwm. Diese wurden in den vergangenen Jahren allerdings aus Kostengründen durch die Kommunen weitgehend wieder eingestellt. Auch existiert nach unserem Kenntnisstand eine zum Neuaufbau notwendige und funktionierende Jugendhilfeplanung in den Kommunen nur noch höchst eingeschränkt. Insoweit stellt sich in diesem Zusammenhang die entscheidende Frage, wie diese grundsätzlich positive Absicht im Referentenentwurf zukünftig praktisch mit Leben gefüllt werden soll und kann.
    Finanzmittel vor Ort reichen bereits jetzt oftmals nicht aus, um notwendige Pflichtleistungen für junge Menschen sicherzustellen. Pandemiebedingt ist mit weiteren Steuerausfällen zu rechnen, so dass im Vorfeld die Frage beantwortet werden muss, mit welchen Finanzmitteln eine Stärkung von präventiven Leistungen überhaupt sichergestellt werden soll. Eine Einsparung an anderen Stellen beträfe vermutlich insbesondere – aber nicht nur – ambulante Leistungsangebote. Niedrigschwellige Zugänge dürfen aber nicht zulasten von notwendigen individuellen Leistungsangebotenen erfolgen. Hier nehmen wir die Gesetzesbegründung sehr ernst, die in Aussicht stellt, dass die Möglichkeiten einer niedrigschwelligen unmittelbaren Inanspruchnahme ambulanter erzieherischer Hilfen und weiterer Präventionsmöglichkeiten erweitert werden sollen. Demzufolge blieben Hilfen auf Grundlage des individuellen Bedarfs auch zukünftig sichergestellt und präventive Ansätze müssten mit zusätzlichen Finanzmitteln ausgebaut werden. Zwar begrüßen wir eine derartige Absicht – was uns dazu aber fehlt, ist der Glaube. Eine Stärkung von niedrigschwelligen Zugängen vor Ort setzt immer die Bereitschaft und die Fähigkeit zu deren Finanzierung voraus; eine diesbezügliche Absicherung ist aber in den im vorliegenden Referentenentwurf enthaltenen Kostenfolgenschätzungen nicht erkennbar. Dieser Umstand wirft erneut und grundlegend die Frage hinsichtlich einer Korrektur der geltenden Finanzverfassung zwischen Bund, Ländern und Kommunen auf, die mithin unbeantwortet bleibt und für die auch der Referentenentwurf keine Antwort gibt.
  • Strukturelle Merkmale zur Zuverlässigkeit sind unzureichend
    § 45 SGB VIII sieht für Einrichtungen eine Gewährleistungspflicht des Kindeswohls sowie die für den Betrieb erforderliche Zuverlässigkeit vor. Sowohl das eine wie auch das andere ist als Voraussetzung für die Erteilung einer Betriebserlaubnis unbestritten wichtig. Für nicht nachvollziehbar hingegen halten wir allerdings, dass in § 45 Abs. 2 Pkt. 2-4 SGB VIII dafür Voraussetzungen benannt werden, bei denen es sich im Wesentlichen lediglich um strukturelle Merkmale handelt, die auf der Ebene von organisatorischen Verpflichtungen anzusiedeln sind. Der unbestimmte Rechtsbegriff der Zuverlässigkeit mag sich als zentrales Beurteilungskriterium des Wirtschaftsverwaltungsrechts bewährt haben und in Folge z.B. gut im Apothekergesetz, dem Kreditwesengesetz, der Gewerbeordnung wie auch dem Gaststättengesetz und dem Personenbeförderungsgesetz angewandt werden können – als wesentliches Beurteilungs- und Eignungskriterium für Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe erscheint uns diese Auslegung jedoch als nicht nur höchst fragwürdig, sondern ihrem Charakter nach für die Erreichung des Ziels einer Gewährleistung des Kindeswohls zwecks Stärkung von Kindern und Jugendlichen absolut verengend und im Ergebnis ziemlich defizitär, da ungeeignet.
    Insoweit handelt es sich hierbei auch nicht um die aus der AG „Mitreden – Mitgestalten“ geforderte Konkretisierung des Zuverlässigkeitsbegriffs. Eine Reduzierung von Zuverlässigkeit auf „rein und sauber“ entspricht mitnichten unserem Grundverständnis von pädagogischer Leistungsqualität in den Hilfen zur Erziehung.
    Von entscheidender und vorrangiger Bedeutung in pädagogischen Settings hingegen ist die Schaffung von Voraussetzungen, die ein möglichst hohes Maß an Stabilität, Kontinuität, Beziehung, Bindung und Orientierung gestalten und zulassen. Dass dies nur unter der Prämisse einer partnerschaftlichen Einbeziehung der jungen Menschen geschehen kann, versteht sich in der pädagogischen Arbeit von selbst. Nur auf diese Weise kann ein möglichst hohes Maß an Stabilität und emotionaler Sicherheit zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen erlangt und sichergestellt werden. Geradezu erschrocken waren wir deshalb darüber, dass an dieser Stelle stattdessen nur strukturelle, administrative und eher klinische Kriterien benannt wurden; dies stellt keine Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe dar und führt auch nicht zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen, im Gegenteil.
    Der VPK lehnt die vorliegende Formulierung ab, weil sie den Zuverlässigkeitskriterien einer Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe in nicht ausreichender Weise vorrangig entsprechen. Nachgeordnet mag es sich um Kriterien handeln, die in einer Beurteilung mit herangezogen werden können; als alleinige Merkmale hingegen sind sie ungeeignet und schaden mehr als sie nutzen.
  • § 45a SGB VIII ist unscharf und mehrdeutig und bedarf der Neuformulierung
    Hinsichtlich der vorliegenden Formulierung des § 45a SGB VIII haben wir weiterhin starke inhaltliche Bedenken. Bereits im Gesetzentwurf der vergangenen Legislaturperiode wurde von uns deutlich kritisiert, dass durch die damalige Formulierung betriebserlaubnispflichtige familienähnliche Wohnformen in den Bereich der Vollzeitpflege nach § 33 Satz 2 SGB VIII abgedrängt würden. Nach unserer Rechtsauffassung von § 45a SGB VIII würdigt der vorliegende Entwurf zwar die fachlich bewährten familienanalogen Betreuungsformen und stellt dem Grunde nach sicher, dass sie nicht aus dem betriebserlaubnispflichtigen Bereich herausfallen. Dieses Bekenntnis kommt allerdings in der Begründung des Gesetzes nicht zum Ausdruck, im Gegenteil. Dort wird stattdessen suggeriert, dass es sich nur dann um eine Einrichtung handelt, wenn diese an eine übergeordnete Einrichtung angebunden ist, die auch weisungsgebunden ist. Das aber entspräche u.E. keinesfalls der Formulierung im Referentenentwurf, die da lautet:
    „Familienähnliche Betreuungsformen, bei denen der Bestand der Verbindung nicht unabhängig von bestimmten Kindern und Jugendlichen zu bestimmten dort tätigen Personen ist, sind nur dann Einrichtungen, wenn sie fachlich und organisatorisch in eine betriebserlaubnispflichtige Einrichtung eingebunden sind. Eine fachliche und organisatorische Einbindung liegt insbesondere vor, wenn die betriebserlaubnispflichtige Einrichtung das Konzept, die fachliche Steuerung der Hilfen, die Qualitätssicherung, die Auswahl, Überwachung, Weiterbildung und Vertretung des Personals sowie die Außenvertretung gewährleistet.“
    Nach dieser im Referentenentwurf vorliegenden Formulierung von § 45a SGB VIII baut Satz 3 auf Satz 2 auf. Dies bedeutet, dass es sich bei familienähnlichen Betreuungsformen, bei denen der Bestand der Verbindung unabhängig von bestimmten Kindern und Jugendlichen und von bestimmten dort tätigen Personen ist, eindeutig um betriebserlaubnispflichtige Einrichtungen im Sinne von § 45a SGB VIII handeln würde.
    Diese Voraussetzungen lägen nur dann nicht vor, wenn der Bestand der Verbindung nicht unabhängig (also abhängig) von bestimmten Kindern und Jugendlichen zu bestimmten dort tätigen Personen wäre.
    Im Umkehrschluss gilt daher nach unserer Rechtsauffassung bei familienähnlichen Betreuungsformen ohne feste Zuordnung der Einrichtungsbegriff nach Satz 1. Dieses Ergebnis ist allerdings eingestandenermaßen „nur“ durch systematische Auslegung und Wortlautauslegung zu begründen. Die oben benannte Rechtsauslegung halten wir allerdings für schlüssig, in der Sache geboten und fachlich richtig. Sie stärkt Kinder in den wichtigen familienähnlichen Betreuungsformen der Hilfen zur Erziehung.
    Die im Referentenentwurf gewählte Formulierung ist allerdings unscharf, kann deshalb im Zweifel mehrdeutig interpretiert werden und könnte im Praxisalltag zu Auslegungsproblemen und Rechtsstreitigkeiten führen. Ein Gesetz hat aber den Auftrag, weitgehend rechtssichere Formulierungen vorzuhalten, die Rechtsauslegungen zumindest weitgehend vermeiden; dies ist im vorgegebenen Fall von § 45a SGB VIII leider nicht gegeben. Insoweit halten wir im weiteren Gesetzgebungsverfahren eine Präzisierung der Formulierung zur Herstellung notwendiger Rechtsklarheit für unabdingbar.
    In diesem Zusammenhang weisen wir nochmals darauf hin, dass rechtlich selbständige und mit Betriebserlaubnis versehene familienähnliche Wohnformen einen unbestritten hohen Wert im stationären Hilfesystem der Kinder- und Jugendhilfe haben. Darauf weisen nachdrücklich übrigens auch die hohen Belegungen von familienähnlichen Wohnformen durch die Jugendämter in Deutschland hin.
    Diese kleinen Angebotsformen entsprechen auch der nach § 3 SGB VIII gebotenen Vorschrift nach einer Pluralität von Trägern, Inhalten und Arbeitsformen im Sinne der allgemeinen Strukturprinzipien der Jugendhilfe, die auch an diesem Punkt nicht gefährdet werden darf.
    Bei der vorliegenden, missverständlichen Formulierung besteht nach unserer Auffassung trotz unserer o.g. Rechtsauslegung die latente Gefahr, dass diese bewährten Formen der Einrichtung zukünftig dennoch gefährdet wären und Einrichtungsträger durch Wegfall der bestehenden Betriebserlaubnis ihre berufliche Existenz verlieren könnten. Die gewünschte und im SGB VIII verortete Vielfalt in der Kinder- und Jugendhilfe würde dadurch empfindlich beeinträchtigt. Auf diese Weise würde der Weg für wieder große Trägerstrukturen geebnet, die nicht ohne Grund im Rahmen der Heimreform in den 70iger Jahres des vorigen Jahrhunderts verändert wurden. Damalige zentrale Forderungen nach Differenzierung und Dezentralisierung von Einrichtungen, einer Reduzierung der Gruppengrößen sowie Verbesserungen in der Qualifizierung des Personals waren neben der Ächtung repressiver Erziehungsmaßnahmen zentrale und berechtigte Forderungen – hierzu sollte es auch heute keinen Dissens geben.
    Unser konkreter Formulierungsvorschlag zu § 45a SGB VIII lautet:
    “Familienähnliche Betreuungsformen der Unterbringung sind Einrichtungen, in denen der Bestand der Verbindung unabhängig von bestimmten Kindern und Jugendlichen und zu bestimmten dort tätigen Personen ist. Wenn diese Voraussetzungen nicht vorliegen, sind sie nur dann Einrichtungen, wenn sie fachlich und organisatorisch in eine betriebserlaubnispflichtige Einrichtung eingebunden sind”.
  • Einbindung von Hilfen nach § 33 Satz 2 SGB VIII in die Betriebserlaubnispflicht
    Der VPK regt an, auch Hilfen nach § 33 Satz 2 SGB VIII zwecks Stärkung des Kinderschutzes als betriebserlaubnispflichtige Einrichtungen nach § 45 SGB VIII mit einzubinden.

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